Auf Wiedersehen Vermietermarkt – Willkommen Mietermarkt

Der Bedarf an Büroflächen schrumpft:

Auf Wiedersehen Vermietermarkt – Willkommen Mietermarkt

von Sven Wingerter, Managing Partner Eurocres

180-Gradwende am Büromarkt: Das Volumen der Bürofläche in Deutschland ist dramatisch abgestürzt. Der Büroflächenumsatz (in Quadratmetern) der sieben größten deutschen Metropolen ist in den ersten drei Quartalen 2023 laut JLL um 36 Prozent zurückgegangen.[1] In unattraktiven Lagen an der Peripherie ist der Aderlass noch größer. Besonders hier ist die Gefahr von Stranded Assets hoch. Auch Bestandshalter werden Mieter verlieren. Der Leerstand ist laut JLL in den auf 5,5 Prozent gestiegen. Gleichzeitig haben einige Projektentwickler, die Büros geplant und vermarktet hatten, in den vergangenen Monaten Insolvenz angemeldet.

Das sind für Investoren und Vermieter ziemlich viele Hiobsbotschaften auf einmal. Doch der Büromarkt wird eben auch von mehreren Seiten in die Zange genommen – und entwickelt sich damit zu einem Markt für Mieter, für die all dies positive Nachrichten sind. Sie sitzen jetzt am längeren Hebel. Für diese Entwicklung gibt es mehrere Ursachen:

  • Die verstärkte Arbeit von zuhause oder von anderen Orten aus hat für den größten Aderlass gesorgt. Mobile Arbeit wird sich verfestigen, auch befeuert durch zunehmende Digitalisierung.
  • Wirtschaftskrise: Deutschland befindet sich in einer Rezession. Firmen halten sich zurück, wandern ab oder müssen den Rotstift ansetzen. Auch dadurch sinkt die Nachfrage.
  • In den vergangenen Jahren ist ein Überangebot entstanden, das derzeit sogar noch steigt, da viele Projekte erst fertiggestellt werden
  • Fachkräftemangel, besonders auch bei Büroberufen, gepaart mit demografischer Entwicklung. Wenn Stellen nicht besetzt werden, bleibt natürlich auch der entsprechende Bürostuhl leer.

 

Man kann fast alle dieser Faktoren auf einen einzigen banalen Satz verdichten: Aufgrund mehrerer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen benötigen die Firmen weniger Büroflächen. Hierzu gehört übrigens auch ein Punkt, der bei der Diskussion viel zu wenig Beachtung findet: Deutschland hat nach Dänemark und den Niederlanden die geringste Wochenarbeitszeit in Europa. Auch dadurch ist ein Arbeitsplatz rechnerisch kürzer belegt. In Deutschland wird 35,3 Stunden pro Woche gearbeitet (Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte zusammengenommen), in den Niederlanden 33,2 Stunden (wegen der extrem hohen Teilzeitquote von 43 Prozent). Spitzenreiter am anderen Ende ist Griechenland (41 Stunden). Selbst im vermeintlich relaxten Schweden sind es 37,7 Stunden und im gewerkschaftsstarken Frankreich 37,1 Stunden, was etwa dem EU-Durchschnitt entspricht.[2]

 

Starke Heimarbeit

Eine aktuelle Umfrage des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt: Vier von fünf Unternehmen in der Informationswirtschaft haben Regelungen für das Arbeiten von zu Hause aus eingeführt. Vor der Pandemie waren es nur knapp 50 Prozent. In der Industrie ist der Anteil von 24 auf 45 Prozent gestiegen. 23 Prozent der abhängig Beschäftigten sind inzwischen in Heimarbeit tätig.

Sogenanntes Homeoffice, Dienstreisen, Krankheit, Urlaub, Schulungen – warum ein Bürostuhl verwaist ist, das hat viele Gründe. Dabei lässt sich die tatsächliche Belegung eines Büros sogar in Echtzeit tracken: Das Berliner Startup Basking hat ein Tool entwickelt, mit denen Nutzer und Vermieter die Auslastung ihrer Flächen messen können. Über alle Nutzer auf drei Kontinenten hinweg hat das Unternehmen im Frühjahr 2023 die Zahlen zusammengefasst: Die Höchstbelegung im Wochendurchschnitt erreichte dabei gerade einmal einen Wert von 41 Prozent in Europa, was genau der Marke Westeuropas entsprach. Südeuropa stach dabei mit 47 Prozent heraus, Skandinavien hatte mit 27 Prozent den niedrigsten Wert einer Region. In Deutschland waren es – wegen der hohen Heimarbeitsquote – sogar nur 25 Prozent. Frankreich erzielte 41 Prozent, während die USA mit 35 Prozent dazwischen lagen.

 

Unterirdische Auslastung – die Mieter reagieren

Mit anderen Worten: 75 Prozent der Bürozeit blieb ein Arbeitsplatz leer, zumindest bei den Kunden, die analysiert wurden. Unserer Erfahrung nach kann man dies durchaus auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Mieter und Corporates werden sich solche Zahlen genau ansehen oder ähnliche Berechnungen anstellen und ihre Schlüsse daraus ziehen.

Dies gilt auch für andere Zahlen von Basking: 43 Prozent der deutschen Mitarbeiter (der analysierten Firmen) kamen nur einmal pro Woche ins Büro, 45 Prozent zwei bis drei Tage und lediglich 11 Prozent vier bis fünf Tage (Rundungsdifferenzen). Frankreich kam exakt auf dieselben Werte, während in den USA mit 26 Prozent mehr als doppelt so viele Personen vier bis fünf Tage ins Büro erschienen – weil dort mobile Arbeit deutlich weniger stattfindet. Interessant sind auch die einzelnen Wochentage. Die meisten Bürobesuche entfallen mit 24, 26 und 22 Prozent auf Di-Mi-Do. Der Montag kommt nur auf 17 Prozent, während der Freitag lediglich 10 Prozent aller wöchentlichen Bürotermine verzeichnet.

Rein rechnerisch – und Unternehmen müssen rechnen – wird also dramatisch weniger Büroraum benötigt. Ein Aspekt wird diese Entwicklung sogar verschärfen und Büros umso mehr obsolet machen: Künstliche Intelligenz und ihr verstärkter Einsatz in Unternehmen macht viele Wissensarbeiter überflüssig. Das bedeutet: noch weniger Büros!

Die KI wird zum disruptiven Gamechanger.

 

Büros als Lagerfeuer

Wie kann man darauf reagieren? Ohne Kommunikation und direkte Zusammenarbeit der Kollegen wird keine Organisation erfolgreich sein. Büros werden auch weiterhin gebraucht – aber deutlich weniger und anders, nämlich als Lagerfeuer. Sie müssen mehr Kommunikation, Austausch und Wohlbefinden ermöglichen, („abgearbeitet“ wird dann allein/ woanders). Projektentwickler und Bestandshalter, die darauf et und diese Bedürfnisse erfüllen, werden erfolgreich sein. Denn das Büro, in der Form wie wir es bislang kennen, ist tot. Es lebe das Büro von morgen!

 

Fazit: der Mieter sitzt am längeren Hebel

Die Neuvermietung von Büroflächen gestaltet sich damit immer schwieriger. Transaktionen sind aktuell, bis auf Notverkäufe, eingestellt worden. Es herrschen die neuen Bedingungen eines hartumkämpften Mietermarktes. Nutzer/ Mieter von Büroimmobilien müssen daher für moderne Bürokonzepte begeistert werden. Und genau darin liegt die Chance für Vermieter, Investoren und auch Projektentwickler. Denn es gibt für – die zunehmend anspruchsvollen – Büronutzer kaum einen besseren Zeitpunkt, herkömmliche Bürogebäude zu verlassen und in visionäre Leuchttürme umzusiedeln als jetzt. Jede Projektentwicklung sollte somit dahingehend auf den Prüfstand gestellt werden, ob die neuen Mieteranforderungen mit erfüllt werden können. Hierzu gehören alle entscheidungsrelevanten Mieteraspekte – vor allem Arbeitsprozesse, Kommunikationsstrukturen, Mitarbeitergesundheit sowie ESG-Faktoren (Environmental, Social and Governance). Dadurch sind Vermieter in der Lage, im Wettbewerb den nötigen Vorsprung zu haben.

 

Der Markt hat sich also gedreht. Ein riesiges Angebot trifft auf geschrumpfte Nachfrage, vor allem aber auch veränderte Ansprüche: Es ist ein Mietermarkt entstanden, in dem die Nutzer besser als zuvor ihre Bedürfnisse durchsetzen können – wobei alles trotzdem oder gerade deshalb seinen Preis hat. Daraus ergeben sich vier Schlussfolgerungen:

  1. Büros müssen sich ab sofort als Arbeitsplatz-Innovatoren bewerben.
  2. Mieterentscheidungen werden von Effizienz, Flexibilität und ESG-Faktoren beeinflusst.
  3. Maßgeblich ist nicht mehr nur Verfügbarkeit oder Mietpreis, sondern messbares Mitarbeiterengagement durch den Arbeitsplatz.
  4. Vermieter mit einem klaren Arbeitsplatz-Geschäftsmodell sind die neuen Marktführer in der Büroimmobilienbranche.

 

[1] https://www.jll.de/de/trends-and-insights/research/bueromarktueberblick

[2] https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Qualitaet-der-Arbeit/_dimension-3/01_woechentliche-arbeitszeitl.html

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